So wehrt sich der AGVS gegen die ASTRA-Pläne

Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) gerät in Sachen MFK-Verlängerung stark unter Druck. Lesen Sie hier das Protokoll einer Auseinandersetzung, die mit immer härteren Bandagen geführt wird

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Juni 2012. Der Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal reicht im Nationalrat ein Postulat ein, das verlangt, die Nachprüfintervalle bei Personenwagen von heute 4-3-2-2 auf künftig 7-2-2-2 Jahre zu verlängern. Von Siebenthal ist Bergbauer; was hinter seiner Berufung als Gallionsfigur der Intervall-Verlängerer steht, weiss wohl nur die Vereinigung der kantonalen Strassenverkehrsämter (asa), deren Mitgliedern mit Nachprüfen heillos im Rückstand sind. Der Bundesrat setzt eine Arbeitsgruppe ein, zusammengesetzt aus Beamten des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) und der asa. Vom AGVS ist niemand dabei, man bleibt unter sich, bitte nicht stören. Dann hört man lange nichts.
Herbst 2013. Die Verlängerung wird konkret. Es muss damit gerechnet werden, dass die Vorlage in den nächsten Monaten in die Vernehmlassung geschickt wird. Der AGVS aktiviert den vorbereiteten Widerstand. Die Herausforderung besteht weniger darin, Argumente gegen die Verlängerung zu finden, denn davon gibt es viele gute, sondern sie auf die wichtigsten Botschaften zu begrenzen. Hauptansatzpunkt ist der Widerspruch zwischen dem bundesrätlichen Bemühen, über das Programm «Via sicura» mehr Sicherheit auf Schweizer Strassen zu schaffen, diese aber gleichzeitig mit der Verlängerung der Nachprüfintervalle zu torpedieren.
14. Januar 2014. Zentralpräsident Urs Wernli informiert am Tag der Schweizer Garagisten in einem Anschlussmeeting die Sektionspräsidenten. Die Posi­tio­nen sind klar: Hier die AGVS-Garagisten, die Treuhänder der Sicherheit der Automobilisten, dort das ASTRA, das die Strassenverkehrsämter durch eine Verlängerung der Prüfintervalle entlasten will und dafür bereit ist, die Sicherheit aller aufs Spiel zu setzen. Man steht sich gegenüber wie im Film «High noon», die Sonne steht in ihrem Zenit, die Hitze flimmert und irgendwo quitscht ein Windrad.
21. Januar 2014. Der AGVS versucht noch einmal die Sache gütlich zu regeln und wendet sich in einem von Urs Wernli und Vizepräsident Daniel Senn unterzeichneten Schreiben an Verkehrsministerin Doris Leuthard. Darin verweist man auf Studien und Gutachten, die zum Schluss kommen, dass eine Verlängerung die Verkehrssicherheit auf Schweizer Strassen nachweisbar verschlechtert und dabei das Unfallrisiko zunimmt.
6. März 2014. Am Auto-Salon-Stand informiert der AGVS seine Mitglieder persönlich. Urs Wernli stellt gegenüber AUTOINSIDE klar: «Weil das ASTRA unempfänglich ist für unsere fundierten Argumente gegen eine Verlängerung, bleibt uns nichts anderes übrig als eine Konfrontation.»
13. März 2014. Doris Leuthard antwortet schriftlich. Die Antwort hätte das ASTRA auch direkt schicken können: «Aufgrund der Erkenntnisse der (vom Bundesrat eingesetzten) Arbeitsgruppe kann ohne Einbussen bei der Verkehrssicherheit und beim Umweltschutz das erste Nachprüfintervall bei Personenwagen auf sechs Jahre verlängert werden.» Immerhin räumt sie ein, dass «bis zum fünften Jahr nach der ersten Inverkehrssetzung die Strassenverkehrsämter an weniger als zehn Prozent der geprüften Personenwagen erhebliche Mängel festgestellt haben.» Das heisst: knapp jedes zehnte Auto ist eine rollende Gefahr. Für die Verkehrsministerin ist das offensichtlich kein Problem.
4. April 2014. Das ASTRA schickt die Vorlage in die Anhörung. Angeschrieben werden unter anderem die Krebsliga Schweiz, Pro Velo und der Samariterbund. Fehlen eigentlich nur noch die Vereinigung Schweizer Schwimmlehrer und die Hornusser. Der Begleitbericht ist unfreiwillig ungeschminkt: Der Leser erfährt, dass die Prüfrückstände in den Kantonen zwischen 2,6 und 36,6% des zu prüfenden Fahrzeugbestandes liegen und dass aktuell in der Schweiz 1,3 Millionen Autos – ein Viertel aller Fahrzeuge – in ungeprüftem Zustand herumfährt. Selbst das ASTRA erkennt: «Es besteht Handlungsbedarf.» Dass dieser aber für das ASTRA darin besteht, die Prüfintervalle zu lockern und nicht darin, die Prüfrückstände abzubauen, scheint ausser dem AGVS niemanden zu stören. Dabei schreibt das ASTRA in der Medienmitteilung zur Anhörung selbst: «Die Zulassungsstellen müssen die Prüfintervalle einhalten und wenn sie die notwendigen Prüfkapazitäten nicht selber bereitstellen können, die Prüftätigkeit an Dritte delegieren.» Den ersten Teil kann das ASTRA als Aufsichtsbehörde nicht gewährleisten, den zweiten Teil will es offensichtlich nicht.
20. Mai 2014. Der AGVS lädt zur Medienkonferenz, das Sitzungszimmer in der Mobilcity ist zum Bersten gefüllt. Zusammen mit Markus Peter, Leiter Automobiltechnik & Umwelt beim AGVS, und unabhängigen Experten wie Bernhard Gerster, Abteilungsleiter Automobiltechnik der Berner Fachhochschule, Uwe Ewert vom bfu und dem Anwalt Dr. Pascal Leumann legt Urs Wernli dar, was gegen die Verlängerung der Prüfintervalle spricht. Der mediale Niederschlag an den Tagen danach: mehr als 60 Artikel. Das Problem rückt ins Bewusstsein einer breiteren Bevölkerungsschicht.
2. Juni 2014. In Deutschland publiziert die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) ihren jährlichen Mängelreport: Rund ein Viertel aller in Deutschland zugelassenen Personenwagen weisen an der KfZ-Hauptuntersuchung erhebliche Mängel auf. Das deckt sich mit den wenigen Angaben, die in der Schweiz von kantonalen Strassenverkehrsämter an die Öffentlichkeit sickern – mehr Transparenz ist nicht erlaubt.
12. Juni 2014. Der Basler SVP-Nationalrat Thomas de Courten nutzt die Fragestunde im Nationalrat und doppelt nach: Womit rechtfertigt der Bundesrat angesichts der Überhänge bei den Prüfungen die Intervall-Verlängerung auf Kosten der Sicherheit? Die schriftliche Antwort lässt bis heute auf sich warten.
28. Juni 2014. TCS und ACS schlagen sich auf die Seite des ASTRA.
4. Juli 2014. Einsendeschluss für die Vernehmlassung. Und jetzt kommt’s faustdick: Recherchen des Blick ergeben, dass es offensichtlich eine überarbeitete Version der Vorlage gibt, noch während der Anhörung angefertigt «vom Vorstand der Vereinigung der Strassenverkehrsämter asa in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strassen ASTRA». So jedenfalls steht es im Begleitschreiben zur Anhörung der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) – und die sind ja nicht bekannt dafür, dass sie während der Arbeitszeit phantasieren. In dieser neuen Fassung sei der Passus «spätestens» auf Antrag der asa konsequent gestrichen. Mit anderen Worten: Die kantonalen Strassenverkehrsämter drängen nicht nur auf eine Verlängerung von 4 auf 6 Jahre für die erste Kontrolle, sie wollen auch verhindern, dass die Autos dafür «spätestens» dann geprüft sein müssen. Für den AGVS kommt das einer Bankrotterklärung gleich. Der Blick titelt: «Gefahr auf Strassen», der AGVS interveniert schriftlich gegen die von der KKJPD erwähnte überarbeitete Version – und das ASTRA gerät weiter unter Druck.
14. Juli 2014. Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) will einen Vorschlag einbringen, der die kantonalen Strassenverkehrsämter entlasten und den AGVS und seine Mitglieder stärker ins Kontrollwesen einbinden soll. Der Vorschlag wird am 8. August in der Schweizerischen Gewerbezeitung vorgestellt. Hinterfragt wird auch, ob die Strassenverkehrsämter die technischen und personellen Kapazitäten haben, um die immer komplexeren Fahrerassistenzsysteme der Fahrzeuge prüfen zu können.
Bis heute ist weder die Situation noch der Ausgang der ganzen Anhörung klar. In seiner Antwort auf das Protestschreiben des AGVS bestreitet das ASTRA, dass es eine überarbeitete Version gäbe. Ein Abbruch der Übung, wie das der AGVS fordere, komme nicht in Frage.

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