BS/BL: KFZ-Gewerbe und Agenturvertrag: Chancen und Risiken

BS/BL: Agenturmodell

BS/BL: KFZ-Gewerbe und Agenturvertrag: Chancen und Risiken

19. Oktober 2023 agvsbsbl.ch – «Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen!» Das ist eine Erkenntnis der Herbstversammlung der AGVS-Sektion beider Basel zum Thema Agenturmodell.


Angeregte Diskussionen: Die Garagisteinnen und Garagisten tauschten sich nach der Veranstaltung bei einem Grillbuffet aus. Foto: AGVS-Medien

mb. Der Schulungsaal im Bildungszentrum war gut gefüllt und veranschaulichte das Interesse der Garagistinnen und Garagisten zum Thema. Die AGVS-Sektion beider Basel hat an diesem Abend zu «KFZ-Gewerbe und Agenturvertrag – Chance und Risiken» geladen; 80 Personen sind der Einladung gefolgt. Und schnell zeigt sich: Die Thematik umtreibt das Gewerbe und macht einigen noch Bauchschmerzen, auch weil vieles noch unbekannt und ungewiss ist. 

Echte und unechte Agentur
Markus Wyssling, Rechtskonsulet bei AGON PARTNERS LEGAL AG und ehemaliger Mitarbeiter der Weko, gibt einen Überblick zum Unterschied was eine echte Agentur, was eine unechte Agentur ist. Entscheidend für die Unterscheidung in echte und unechte Agentur ist die Tragung der wesentlichen geschäftlichen Risiken. Trägt der Hersteller alle wesentlichen Risiken, besteht eine echte Agentur; trägt der Vertriebspartner schon nur ein wesentliches Risiko, besteht eine unechte Agentur.

Wesentliche Risiken betreffen folgende Bereiche:
- vertragsspezifische Risiken (Lager, Lieferkosten, Zahlungsausfall, Finanzierung etc.)
- marktspezifische Investitionsrisiken (Ausrüstung, Räumlichkeiten, CI, Werbung, IT-Hersteller etc.)
- Risiken in Verbindung mit anderen verlangten Tätigkeiten (Logistik, Übergabetätigkeit, Auslieferungsinspektion, Verkauf anderer Produkte im Handelsgeschäft etc.)

KFZ-Verordnung ab 1. Januar 2024
Mario Luise Weisse, Juristin bei AGON PARTNERS LEGAL AG, informiert über die Motion Pfister, welche per 1. Januar 2024 in eine Verordnung übergeht. Die KFZ-Bekanntmachung der Wettbewerbskommission (Weko) besteht seit 2002. Sie gibt Garagisten, Zulieferern und anderen Marktteilnehmern unter anderem die Möglichkeit, mehrere Automarken anzubieten, Ersatzteile eigenständig zu wählen und technische Dienstleistungen losgelöst vom Vertrieb von Neuwagen frei zu erbringen. Sie ist folglich ein bedeutungsvolles Schutzinstrument für Kundinnen und Kunden von Schweizer Garagisten und sorgt namentlich für den erforderlichen Preiswettbewerb. Die Weko konnte die KFZ-Bekanntmachung bisher allerdings mangels Ressourcen nicht durchsetzen und verwies alle Anzeigen an das jeweils zuständige Zivilgericht. Weil Zivilgerichte nicht an die KFZ-Bekanntmachung gebunden sind, wurde sie nicht umgesetzt. In der Folge scheiterten Garagisten, freie Automobilimporteure und Zulieferer, die die Regeln der KFZ-Bekanntmachung gegenüber internationalen Unternehmen durchsetzen wollten, vor Gericht. Der Rechtsschutz wurde eindeutig unterlaufen.
 
Im Juni gab der Bundesrat bekannt, die KFZ-Bekanntmachung per 1. Januar 2024 in eine Verordnung zu überführen, so wie es die Motion von Nationalrat Gerhard Pfister (Mitte) forderte, die vom Parlament mit grosser Mehrheit angenommen und im März 2022 an die Landesregierung überwiesen wurde. Die Motion verpflichtet den Bundesrat, den bisher ungenügenden Vollzug via Verordnung zu garantieren. Mit der neuen KFZ-Verordnung sind Gerichte und Behörden verpflichtet, die Regeln anzuwenden und somit einen besseren Rechtsschutz zu gewährleisten. Der AGVS begrüsst den Erlass der KFZ-Verordnung und die Umsetzung des Willens des Schweizer Parlaments.

Worauf ist bei den echten und unechten Modellen zu unterscheiden?
Der AGVS-Rechtskonsulent Tobias Treyer gibt spannende Einblicke in seine Arbeit, durch die er auch auf europäischer Ebene Kontakt mit Anwälten und Markenhändlerverbänden hat. Er zeigt die Warnung des europäischen Dachverbands Cecra: «Unterschreiben Sie keine unechten Agenturverträge.» Er berichtet von den Verhandlungen mit den diversen Herstellern und gibt als Tipp: «Schauen Sie sich gut an, was in den Verträgen drin steht und lassen Sie sich nicht unter Druck setzen – auch zeitlich nicht. Rechnen Sie durch, was das für Ihren Betrieb bedeutet.» 

Treyer mahnt auch, man solle sich das Occasionsgeschäft (Leasingrückläufer, Eintauschfahrzeuge) wie auch die Wertschöpfung aus dem Aftersales nicht wegnehmen lassen. «Wehren Sie sich mit Händen und Füssen!», rät der Jurist den Garagisten. Er fand auch beruhigende Worte für die Anwesenden: «Es geht nicht alles so schnell und radikal, wie es zu Beginn vielleicht den Anschein machte: Einige Hersteller, die die Einführung für 2023 geplant hatten, haben dies nun auf 2028/29 geschoben.» 

Für die Händler bieten sich laut Treyer die Vorteile, dass der Agent zwar weiterhin das Gesicht der Marke bleibt und eine gesicherte Rentabilität hat, weil er nicht mehr für Investitionen oder die Kosten der Fahrzeuge im Showroom aufzukommen hat. Die Nachteile liegen ebenfalls auf der Hand: «Die unternehmerische Freiheit geht verloren, und es gibt Einschränkungen bei den Lagerfahrzeugen.» Zudem stellen sich weitere Herausforderungen: Die Hersteller wollen sich auch das Occasionsgeschäft aneignen. In der Vermarktung der Leasingfahrzeuge wie auch im Geschäft mit den jungen Gebrauchten bis 18 Monate sehen die Hersteller zusätzliche Geschäfte.

Sicht der Händler, Weko und der Politik
Laut Christoph Keigel, Inhaber Garage Keigel und Präsident des Renault Markenhändlerverbandes, ist das Agenturmodell langfristig die schlechtere Variante. Die unternehmerischen Freiheiten sind zu klein.

Ramin Silvan Goharigibt einen Überblick aus Sicht der Wettbewerbshörden.

Nationalrätin Daniela Schneeberger informiert über die breit abgestützte Motion Gugger, er ist selbst Verwaltungsrat der Winterthur Bühlmann Garage. Er reichte die Motion ein, um die rechtliche Basis für die Händler abzusichern und das Kartellrecht entsprechend zu ergänzen. «Die Hersteller sollen nachweisen müssen, dass das Agentursystem auch für die Garagisten effizienter ist als das bisherige Vertriebsmodell».

Thomas Kestenholz der Kestenholz Automotive Holding AG informiert über die positiven und negativen Erfahrungen aus Deutschland. Mercedes hat das Agenturmodell am 1. Juni 2023 eingeführt.

Nach zwei Stunden endet der offizielle Teil der gemeinsam von der Sektion beider Basel und der Stiftung KMU für Rechtsdurchsetzung organisierten Veranstaltung mit den Worten von Stiftungsratspräsident Patrick Krauskopf: «Was wir wissen, haben wir Ihnen heute Abend weitergegeben.» Im Anschluss diskutieren die Garagistinnen und Garagisten bei einem Grill-Plausch über das Gehörte und die möglichen Auswirkungen auf die geschäftliche Zukunft. Oder einfach sonst über das Garagen- und Autogewerbe.
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